Die starke Kraft im Hintergrund: dein Bindungstyp und was er mit Dir macht

Bindungstypen bei Erwachsenen

Die vom englischen Kinderpsychiater John Bowlby entwickelte Bindungstheorie ist ein fundamentales Konzept in der Psychologie, das erklärt, wie die Qualität der frühen Bindungen zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen lebenslange Auswirkungen auf ihr Verhalten in Beziehungen hat. Die von ihm beschriebenen Bindungstypen beeinflussen nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch das Selbstbild und die Fähigkeit, mit anderen zu interagieren. Wir zeigen hier die 4 Typen, die im Erwachsenenalter relevant sind:

Die vom englischen Kinderpsychiater John Bowlby entwickelte Bindungstheorie ist ein zentrales Konzept der Psychologie. Sie beschreibt, wie die Qualität der frühen Bindungen zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen lebenslang prägt, wie Menschen Beziehungen gestalten, sich selbst sehen und mit anderen interagieren.

Die klassischen Bindungstypen bei Kindern – sicher, unsicher-ambivalent und unsicher-vermeidend – setzen sich im Erwachsenenalter meist in vier Mustern fort:

1. Sicher gebundene Erwachsene (ca. 55–60 %)

Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben in der Regel in der Kindheit erfahren, dass Bezugspersonen zuverlässig und responsiv sind. Dies führt zu einem Vertrauen in die Verfügbarkeit von Unterstützung und Zuwendung, was eine gesunde Selbstständigkeit und die Fähigkeit fördert, offene und gleichwertige Beziehungen zu anderen zu pflegen. Sie können ihre Bedürfnisse und Gefühle gut kommunizieren und sind imstande, sowohl Nähe als auch Autonomie in ihren Beziehungen zu balancieren.

2. Ängstlich gebundene Erwachsene (ca. 15–20 %)

Der ängstliche (englisch: preoccupied = zwanghaft) Bindungsstil entwickelt sich häufig, wenn Bezugspersonen unvorhersehbar oder inkonsequent reagiert haben – oder schlicht nicht da waren, als sie vom Kind gebraucht wurden. Betroffene erleben Beziehungen deshalb als unsicher, haben große Angst vor Zurückweisung oder Verlust und neigen dazu, stark zu klammern.

Sie fordern übermäßig Bestätigung und Nähe, was ihre Partner häufig als einengend empfinden. Die ständige Sorge, nicht genug zu sein oder verlassen zu werden, führt oft zu Konflikten.

3. Vermeidend gebundene Erwachsene (ca. 20–25 %)

Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil (englisch: dismissive-avoidant, wörtlich übersetzt ablehnend-vermeidend) haben oft gelernt, dass ihre Bedürfnisse nach Trost und Nähe abgewiesen oder ignoriert wurden. Um Enttäuschungen zu vermeiden, haben sie früh Strategien entwickelt, Autonomie zu betonen und emotionale Bedürfnisse herunterzuspielen.

Als Erwachsene wirken sie häufig unabhängig und selbstgenügsam. Sie tun sich jedoch schwer damit, echte emotionale Nähe zuzulassen oder sich in Beziehungen verletzlich zu zeigen. Oft geraten sie in Beziehungen in Konflikt, weil sie Intimität und Bindung als Bedrohung ihrer Freiheit erleben.

Leider ist der Preis dieses Bindungsmusters eine gewisse Unfähigkeit, sich auf enge Beziehungen einzulassen, was sich insbesondere negativ auf die Paarbeziehung auswirkt.

4. Desorganisiert (ängstlich-vermeidende) gebundene Erwachsene (ca. 5–10 %)

Ein vierter Bindungsstil – der desorganisierte Bindungsstil (englisch: fearful-avoidant) – wurde später ergänzt. Er tritt auf, wenn Kinder Bindungspersonen zugleich als Quelle von Schutz und als Quelle vo Angst erleben. Im Erwachsenenalter zeigt sich dieses Muster oft in einem inneren Konflikt: Menschen sehnen sich stark nach Nähe, fürchten sie aber zugleich.

Sie schwanken zwischen klammernden und vermeidenden Strategien, was Beziehungen sehr instabil (“desorganisiert”) machen kann. Häufig liegen belastende Kindheitserfahrungen zugrunde, etwa Missbrauch oder jahrelange emotionale Vernachlässigung.

So wirkt dein Bindungsstil im Alltag

Vielleicht hast du dich schon gefragt, warum du gegenüber deinem Partner manchmal so reagierst, wie du es eigentlich gar nicht willst. Die Antwort steckt oft in deinem Bindungsstil. Hier ein kleiner Einblick, wie die vier Typen im echten Leben aussehen können:

Sicher gebunden: Du kannst Nähe zulassen, brauchst aber nicht dauernd Bestätigung. Wenn dein Partner mal einen Sonntag allein eine Fahrradtour machen will, ist das okay — du weißt: Er oder sie ist dir trotzdem verbunden. Du kannst Konflikte ansprechen, ohne gleich in Panik zu bekommen, verlassen zu werden.

Ängstlich gebunden: Du merkst sofort, wenn dein Partner Abstand sucht. Dann kreisen deine Gedanken: „Hab ich was falsch gemacht? Liebt er mich noch?“ Du schilderst ihm deine Sorge, nicht gesehen zu werden oder schreibst vielleicht drei Text-Nachrichten hintereinander — sicher ist sicher! Wenn dein Partner nicht schnell genug antwortet, fühlst du dich verletzt oder abgelehnt.

Vermeidend gebunden: Du liebst deine Freiheit. Zu viel Nähe? Da zieht sich bei dir innerlich alles zusammen. Wenn dein Partner Drama macht oder zu viele Gefühle auspackt, schaltest du lieber einen Gang runter — oder gleich ganz ab. Nähe ist okay, solange du sie steuern kannst.

Desorganisiert (ängstlich-vermeidend): Du willst Nähe, aber du hast zugleich Angst, dass dich den Partner irgendwann nervt. Oft schwankst du: Mal lockst du deinen Partner, mal stößt du ihn weg. Tiefe Bindung fühlt sich schön an, aber auch gefährlich an. Du willst sie — und merkst trotzdem immer wieder, dass sie nicht passt in dein Leben.

Therapeutischer Ausblick: Bindung verstehen und verändern

Die gute Nachricht ist: Bindungsstile sind keine festgeschriebenen Schicksale. Auch wenn sie sich in der Kindheit tief verwurzelt haben, können sie sich im Laufe des Lebens verändern — vor allem durch neue, korrigierende Bindungserfahrungen.

In der Paartherapie — besonders in der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT) — steht im Zentrum, die zugrunde liegenden Bindungsbedürfnisse sichtbar zu machen:

  • Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil lernen, ihre Angst vor Verlassenwerden zu verstehen und klarer zu kommunizieren, ohne zu klammern.
  • Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil können vorsichtig üben, sich zu öffnen, emotionale Nähe zuzulassen und Vertrauen zu entwickeln.
  • Paare lernen gemeinsam, sich gegenseitig als sichere Basis zu erleben, auf die man sich verlassen kann — selbst in Konflikten.

Ein Schlüssel ist dabei immer, die eigenen Bindungsängste zu erkennen, statt sie hinter Vorwürfen, Rückzug oder übertriebener Selbstgenügsamkeit zu verstecken.

Die Partner unterstützen sich gegenseitig, indem sie lernen, den Bindungsstil des anderen nicht als Angriff oder Schwäche zu sehen, sondern als Ausdruck eines alten Schutzmechanismus. So kann die Beziehung selbst zum sicheren Hafen werden — und schrittweise heilen, was früher, also in der Kindheit, gefehlt hat.

Fallbeispiel aus der Praxis: Anna und David

Anna (32) hat einen stark ausgeprägten ängstlichen Bindungsstil. Sie hatte in ihrer Kindheit Eltern, die mal liebevoll und präsent, mal sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Sie lebt sie in einer Beziehung mit David (40), der einen eher vermeidenden Bindungsstil entwickelt hat. David wuchs in einem Elternhaus auf, in dem Gefühle kaum offen gezeigt wurden. Nähe erlebte er kaum.

Seit drei Jahren sind Anna und David ein Paar. Ihre Beziehung ist von ständigen Spannungen geprägt:

  • Anna fühlt sich oft nicht gesehen und wünscht sich mehr Nähe, gemeinsame Zeit und intensive Gespräche.
  • David fühlt sich von ihren ständigen Nachfragen und ihrem Bedürfnis nach Nähe schnell eingeengt. Um sich Freiraum zu schaffen, zieht er sich zurück — was Anna wiederum in ihrer Verlustangst triggert.

So geraten die beiden in einen typischen Teufelskreis (fachsprachlich oft Zyklus genannt): Je mehr Anna Nähe sucht, desto mehr zieht David sich zurück — und je mehr er sich zurückzieht, desto stärker klammert Anna und macht ihm Vorwürfe.

Der Ansatz in der Emotionsfokussierten Therapie

In der EFT-Sitzung wird dieser Zyklus zuerst gemeinsam sichtbar gemacht:

  • Anna lernt zu verstehen, dass Davids Rückzug keine Abwertung ihrer Person bedeutet, sondern seine Schutzstrategie, um nicht überfordert zu werden.
  • David erkennt, dass Annas Drängen nicht Kontrolle einfordert, sondern ein Ausdruck ihrer tiefen Angst ist, verlassen zu werden.

Die Paartherapeutin hilft beiden, neue Muster zu entwickeln:

  • David übt, kleine emotionale Signale bewusster zu senden, z. B. öfter von sich aus Nähe anzubieten.
  • Anna lernt, ihre Angst zu beruhigen und David zu vertrauen, ohne sofort nachzuhaken oder zu fordern.

Gemeinsam erfahren sie in der Therapie, dass sie füreinander da sein können, ohne ihre Autonomie zu verlieren. Schritt für Schritt wird die Beziehung so zu einem sicheren Ort, an dem beide Bindungsbedürfnisse Raum finden.

Was zeigt dieses Beispiel?

Bindungsstile erklären nicht alles — aber sie helfen, Muster zu verstehen. Und genau dieses Verständnis ist oft der erste Schritt, um alte Schutzmechanismen zu hinterfragen und die Beziehung liebevoller, freier und sicherer zu gestalten.

Bindungstypen und Bindungsangst in der Paartherapie

Menschen der beiden unsicheren Bindungstypen haben weit mehr Beziehungsprobleme als sicher gebundene Menschen. Häufig besteht auch Bindungsangst. Bindungsbasierte Therapieansätze: Techniken wie die emotionsfokussierte Paartherapie (EFPT) können helfen, die emotionalen Wurzeln der Bindungsunsicherheit aufzudecken und zu bearbeiten.

Raus aus der Bindungsangst in der Paarbeziehung

Bindungsangst: Furcht vor engen emotionalen Beziehungen und Bindungen. Menschen mit Bindungsangst empfinden oft eine innere Abwehr gegenüber Intimität und Nähe, aber auch vor Konflikten, Verpflichtungen und möglichen Enttäuschungen. Doch auch Schüchternheit kann zur Bindungsangst führen.
Im Ergebnis vermeiden Betroffene Paarbeziehungen (oft hinter einer Fassade überzogener Ansprüche an einen zukünftigen Partner), schrecken vor emotionaler Nähe zurück oder sabotieren sogar Beziehungen. Die Ursachen sind vielfältig. Häufig liegen sie in negativen Erfahrungen der frühen Kindheit, wie inkonsistenter oder unsensibler Betreuung durch die Eltern oder früheren Trennungserfahrungen.

Auswirkungen auf die Paarbeziehung

Bindungsangst ist ein verbreitetes Phänomen, das tiefgreifende Auswirkungen auf Paarbeziehungen hat, so:

  • Kommunikationsprobleme: Personen mit Bindungsangst haben oft Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse und Gefühle zu kommunizieren. Das führt zu Missverständnissen und Konikten.
  • Emotionale Distanz und Zurückweisung: Die Angst vor Nähe kann dazu führen, dass gegenüber dem Partner große emotionale Distanz gewahrt wird (entweder immer oder phasen- oder stundenweise). Der Partner fühlt sich dadurch zurückgewiesen und isoliert. Die Beziehung
  • Beziehungssabotage: In manchen Fällen kann Bindungsangst dazu führen, dass Individuen bewusst oder unbewusst ihre Beziehungen sabotieren, um sich vor vermeintlich unvermeidbarem Schmerz zu schützen.

Psychotherapeutische Ansätze

In der Paartherapie stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um Bindungsängste zu adressieren und zu bewältigen:

  • Bindungsbasierte Therapieansätze: Techniken wie die emotionsfokussierte Paartherapie (EFPT) können helfen, die emotionalen Wurzeln der Bindungsangst aufzudecken und zu bearbeiten. Diese Ansätze fokussieren auf die Schaffung eines sicheren therapeutischen Raums, in dem Paare lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse auf gesündere Weisen auszudrücken und zu bearbeiten.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Methode kann eingesetzt werden, um dysfunktionale Glaubenssätze und Verhaltensmuster, die mit Bindungsangst verbunden sind, zu identizieren und zu verändern.
  • Kommunikationstraining: Paare können lernen, effektiver zu kommunizieren und Konikte auf konstruktive Weise zu lösen. Dies stärkt das Vertrauen und die Nähe zwischen den Partnern.
  • Individuelle Psychotherapie: Manchmal ist es auch hilfreich, dass die betroffene Person zusätzlich zur Paartherapie eine Einzel-Psychotherapie in Anspruch nimmt, um persönliche Themen, die zur Bindungsangst beitragen, in einem Einzelsetting zu bearbeiten.

Die Kombination von individueller und Paartherapie hilft betroffenen Personen oft am besten, ihre Ängste zu verstehen und zu bewältigen, was zu gesünderen und resilienteren Beziehungen führt.

Das kannst du mitnehmen

Dein Bindungsstil prägt deine Beziehungen: Ob sicher, ängstlich, vermeidend oder desorganisiert – dein Bindungstyp beeinflusst, wie du Nähe erlebst und Konflikte in Beziehungen löst.

Bindungsangst kann Beziehungen belasten: Angst vor emotionaler Nähe kann zu Kommunikationsproblemen, Distanz und sogar Beziehungssabotage führen.

Veränderung ist möglich: Bindungsstile sind nicht festgeschrieben – durch Therapie (z.B. EFT) kannst du alte Muster verstehen und lernen, gesündere Beziehungsdynamiken zu entwickeln.

Über den Autor

Ich bin Arne, Paartherapeut aus Augsburg, und möchte Dir mit meinem Blog helfen, Deine Beziehung zu verstehen und zu stärken.